Die vorliegende Arbeit umfasst eine systematische Untersuchung bekannter und repräsentativer drei-, vier- und fünffach koordinierter ArsenIII - bzw. ArsenV-Verbindungen in der Gasphase mittels He-I-Photoelektronenspektrometrie (PES). Begleitet wird diese von quantenmechanischen Modellrechnungen unter Betonung der neuen SCC-Xα-Methode von M. GRODZICKI und der computergraphischen Illustration ihrer Resultate (MO-Plots). Elektronen- und Elektronendifferenzdichten), die Einblicke in Elektronenverteilungen und Bindungstypen gewähren. Zusammenhänge zwischen Elektronenstrukturen, Modellvorstellungen (d-Orbitaleffekte, Hypervalenzen). Molekül- und Atomeigenschaften werden geklärt. Die gemessenen und berechneten Daten für Arsen und seine Verbindungen wurden nicht isoliert betrachtet, sondern im Zusammenhang mit Analoga der V. Hauptgruppe gesehen, wo immer dies möglich war und Vergleichsdaten vorlagen (vgl. Abb. 1).

He-I-PE-Spektren von Trihydriden und Trihalogeniden

Abb. 1. He-I-PE-Spektren von Trihydriden und Trihalogeniden ER3 der V. Hauptgruppe (E=(N) → Sb, R=Hal, H) mit Bandenzuordnung und Korrelation.

In Fällen PE-spektroskopisch bekannter oder präparativ nicht beschriebener As-Verbindungen wurden Analoga der schwereren Pnictide herangezogen (BiMe3.Me4SbF, R2Sb-SbR2 u.a.).

Die Arbeit beginnt konsequent beim Element: Bei einer Einlasstemperatur von T ~ 650-800 K / p ~ 10-4 mbar liefert gasförmiges Arsen ein PE-Spektrum, das zweifelsfrei der tetraedrischen As4-Spezies zugeordnet werden kann. Eine Identifizierung gelingt auch an Hand entsprechender Daten von P4. Das N2 analoge As2 konnte in einer nachgeschalteten Pyrolysevorrichtung (Elektronenstoßheizung) im Spektrometereinlass bei ca. 1200 - 1400 K erzeugt und PE-spektroskopisch nachgewiesen werden. Diese thermisch eigentlich symmetrieverbotene Reaktion (As4 (Td)-D2d-As2 (D¥h)) wurde im SCC-Xα-Verfahren rechnerisch simuliert um die Verformung der Molekülorbitale während dieses Prozesses darstellen zu können. As2+ besitzt ebenso wie P2+ aber im Gegensatz zu N2+ die Orbitalreihenfolge Õu < åg, die z.B. die unterschiedliche Koordination (end on « side on) von As2- und N2-Liganden in Übergangsmetallkomplexen steuert. Um möglichen elektronischen Ursachen der Nichtexistenz von N4 nachzuspüren, wurde auch dieses hypothetische Gebilde der SCC-Xα-Prozedur unterzogen. Die Überschneidung von Korrelationsleitlinien zwischen N und P in der Reihe E2 (E=N®Bi), die besetzte MO's gleicher irreduzibler Darstellungen verbinden, und ihre Auswirkung auf die Interpretation analoger stickstoff- und arsen- bzw. phosphororganischer Verbindungen wird an Beispielen mit E .. E -Einheit (DABCO, Diimin und Diphospha- bzw. Diarsaanaloga) demonstriert. Die registrierten lonisierungsenergien von As4 und As2 erlauben schließlich die Parametrisierung der SCC-Xα-Methode für As-Verbindungen allgemein, die sich an den Testobservablen Ionisierungsenergie und Dipolmoment (letzteres als Prüfstein für 'richtig' berechnete Ladungsverteilung) orientiert und die PE-spektroskopische Zuordnung auch komplizierter Moleküle wie As4S6, As4S4, As4(NMe)6, mit tetraedrischer sowie (CF3)4As4 und As4S3 mit quasitetraedrischer As4-Einheit durchführbar machen sollte. Der Spektrenvergleich suggeriert für die letztgenannten energetisch nahezu ungestörte "lone pair"-Elektronen (nAs) für die vier Arsenatome relativ zu As4. In sterisch nichtrigiden Systemen mit E-E, E-E' und As-O-Bindung (E=dreiwertiges Element der V. Hauptgruppe) sind Rotamerenmischungen in der Gasphase zu berücksichtigen. Die Bandenanalyse des PE-Spektrums von Dimethylamino-dimethylarsan (s. S. 194) zeigt, dass ca. 20 % des trans- und ca. 80 % des stabileren gauche-Konformeren vorliegen. Bandenanalyse des PE-Sprektrums von Dimethylamino-dimethylarsan

Als Problematisch erwiesen sich hier Vertreter mit mehr als zwei benachbarten Elektronenpaaren wie MeAs(NMe2)2, As(NMe2)3 (s.u.),N(AsMe2)3 oder Sb(NMe2)3.

Rotamerenkonfigurationen Durch Spektrenvergleiche mit den bekannten Systemen MenB(NMe2)3-n, MenP(NMe2)3-n, MenSi(NMe2)3-n, durch Simulation der PE-Spektren mit CNDO/2-Eigenwerten der Modelle HnAs(NH2)3-n,´unter Variation aller Valenzwinkel im "trial and error"- Verfahren und mit Berechnungen nach der PCILO-Methode gelang eine Analyse der möglichen Gasphasen-Konformationen und zum Teil ihrer Strukturen. As(NMe2)3 ließ sich wie P(NMe2)3 durch eine einzige Konformation darstellen. Die Reihe MenAs(OMe)3-n, wurde qualitativ und analog zu den entsprechenden Phosphanen zugeordnet. Hydride und Halogenide der V. Hauptgruppe - Schulbeispiele für Modellvorstellungen in Chemie überhaupt - waren zum größten Teil bekannt. Die Tatsache, dass ihre Analyse in der Literatur Stückwerk geblieben war und die SCC-Xα-Methode hier voll ausgetestet werden konnte, wurde zum Anlass genommen, diese umfangreiche und präparativ so wichtige Verbindungsklasse in einer Gesamtschau (s. Abb. 1) neu darzustellen. Zur Deutung ihres PE-Bandenmusters wurde ein qualitatives MO-Wechselwirkungsschema auf der Basis der 'composite molecule'-Näherung entwickelt, das auf entsprechende Verbindungen der V. und III. Hauptgruppe (vertreten hier durch HnGaCl3-n) gleichermaßen anwendbar ist.
SCC-X-alpha-Valenzelektronendichten SCC-X-alpha-Konturdiagramme

Abb. 2: a) SCC-Xα-Valenzelektronendichten

b) SCC-Xα-Konturdiagramme der HOMO-Wellenfunktionen für die Verbindungsreihen ECl3 (+NH3.) und AsR3.

Eigenschaftsunterschiede und Ladungs- bzw. Elektronenverteilungen wurden an Hand geplotteter Valenzelektronendichten und Konturdiagramme der HOMO-Wellenfunktionen (vgl. Abb. 2) beschrieben. In den homologen und zum Teil isosteren Verbindungsreihen RAsCl2 (R = Me, Et, n- und i-Pr, t-Bu), MeAsHal2 und Me2AsHal (Hal=F®J), deren PE-Spektren nach einem qualitativen C8/C2v-MO-Modell zugeordnet und korreliert wurden, konnten Unterschiede in den ersten Ionisierungsenergien bekannten induktiven Substituenteneffekten zugeschrieben werden. IE1-Werte, aufgetragen gegen bekannte Elektronegativitäten der Substituenten oder gegen TAFT- bzw. PE-spektroskopisch ermittelte Substituentenkonstanten, ergeben lineare Regressionen, die sich partiell sogar zu PE-spektroskopischen Voraussagen für Arsanderivate eignen. Pseudohalogenide Me2AsSCN und Me2AsCN wurden in Gegenüberstellung mit MeSCN, MeNCS und MeCN zugeordnet.

He-I-PE-Sprektren ...

Abb. 3: He-I-PE-Spektrum von Me3AsF2 mit Bandenzuordnung zu SCC-Xα-Eigenwerten und Wellenfunktionen für das Modell H3AsF2. Von den e'/e"-Orbitalen ist nur eine Komponente abgebildet.

Der zweite Teil der Arbeit widmet sich einigen ausgewählten AsV-Verbindungen in 4- und 5-facher Koordination. Eingeleitet wird dieser mit dem PE-Spektrum des lange Zeit als "nichtexistent" eingestuften Arsenoxitrichlorids, das nach der SEPPELT-Methode durch Ozonisierung von AsCl3. gewonnen wurde. Der Vergleich mit P(O)Cl3. und vor allem Nb(O)Cl3, dessen Spektrum bei Einlasstemperaturen von ca. 600 K registriert werden konnte, wurde genutzt, um die unterschiedlichen Elektronenverteilungen und den Einfluss von d-Orbitalen in isovalenzelektronischen Verbindungen der V. Haupt- und Nebengruppe darzustellen. Die koordinative Bindung wurde auch in der Verbindungsreihe Me3As - Me3AsO, Me3AsS und Me3AsBH3 PE-spektroskopisch und MO-theoretisch untersucht. Das Boran-Addukt war in der Gasphase partiell zerfallen, Me3AsSe vollständig.

Die hypervalente Vierelektronen-Dreizentrenbindung wurde u. a. in den D3h-Systemen Me3AsF2 (Abb. 3), Me3SbF2 und den C4v Molekülen Me4EHal und PMenHal5-n untersucht. Stellvertretend für das bekannte SbMe5 oder das hier nicht vermessene AsMe5, wurden Modellrechnungen für den hypothetischen Arsoranprototyp AsH5 und die Reihe HnAsF5-n durchgeführt. Alle PE-Bandenmuster fügen sich in ein die oxidative Addition simulierendes, qualitatives MO-Wechselwirkungsschema (AsH3 + X2 -' AsH3X2, X=H, Hal).

Für die Bindung in fünffach koordinierten Verbindungen der V. Hauptgruppe wird allgemein d-Orbitalbeteiligung seitens des Zentralatoms E in Betracht gezogen. Dieser Effekt konnte ähnlich wie in As(O)R3 quantenmechanisch simuliert werden, wie Elektronendifferenzdichteplots für AsH3F2 belegen. Ed Orbitale, sofern überhaupt beteiligt, stabilisieren die axialen Bindungen im Falle elektronegativer Liganden.

Einfluss von Liganden

In der vorliegenden Arbeit wurde erstmalig in größerem Umfange die schnelle SCC-Xα Methode verwendet, die sich besonders für vergleichende Untersuchungen unter Einschluss schwerer Elemente eignet. Zur Verdeutlichung der elektronischen Eigenschaften wurden umfangreiche Folgeprogramme zur graphischen Ausgabe in zwei und drei Dimensionen angefertigt. Weiter wurden im Rahmen dieser Arbeit ein Datenanalyseprogramm (DATCON), ein Spektrensimulationsprogramm (SIMULI) sowie ein Koordinatenmanipulationsprogramm (ROTATI) erstellt. Daneben wurden ca. vierzehn größere Fremdprogramme an den Rechner des hiesigen Rechenzentrums adaptiert (s. Datenflussplan, S. 198).

Datenflussplan

Gutachter a Prof. Dr. H. tom Dieck

Mitgutachter Prof. Dr. W. Gunsser

mündliche Prüfung : Mai 1983

Horst Walther, Hamburg